Xaver Bayer zu den Collage-Arbeiten von Hanno Millesi anlässlich einer Ausstellung im Literaturhaus Wien
Aufgebracht verschwinden die Spielregeln, die Abbilder, mit der Zeit in der Wand, so wie eine Schlange im Unterholz verschwindet, oder wie sich ein zum Staunen rundgeformter Mund wieder schließt, wenn wir dastehen und schauen, sie schmelzen in den Hintergrund, versinken in der Aufnahme, werden eingesogen von Bewandtnis, verblassen dabei wie Tätowierungen an der Sonne, überstrahlen oder unterbelichten das Naheliegende, sie, die zuerst nur der Oberfläche aufliegen, wie Blätter und Nadeln und Nüsse am Erdboden, wie Nachrichtenfetzen, die unser abtropfendes Interesse auffangen, sie bilden Stück für Stück und einander umspielend eine neue, eigene Ebene, einen mit Palimpsesten austapezierten Reinraum, eine über Jahre zugetextete Miszelle, mit jedem Blick werden sie tiefer zerschnitten und umformatiert und bis zur schieren Offensichtlichkeit hineingedrückt ins zukünftig Unsichtbare, lösen sich vor dem Nachbild des alten Geschehens auf, verdecken die Keloide der Vergangenheit, die Wörter verbinden die Einstichstellen der Wahrnehmung, vom Wundern bis zum Argwohn, und auch die Wand rückt allmählich von uns ab wie wir von ihr, eine gegenseitige Begeisterung, bis sich das Bild um das Getümmel unserer Gedanken schließt wie eine Fruchtblase und sich zum vorläufig letzten Konzept zusammenzieht, vollends abgeschliffen durch die Blicke, zugleich kristallisierend in einer ewig ungesättigten Lösung, der Kontext, die gewirkte Umgebung weicht auf oder verhärtet das jeweilige Schlüsselwort, die Vorstellung sperrt auf das Bild, alle Bilder werden zu Kollateralbildern, und da raschelt die Schlange im Unterholz, und da öffnet sich der Mund, und da fällt das Haus, und da bleibt vom Fisch nur das Gerippe, und da reicht die Hand über den Zaun, und da spiegelt sich das Wasser im freien Auge, da schlägt das Kreuz einen Bogen und der Bogen ein Kreuz, der Affe reitet auf dem Ochsen, und wir treten noch einen Schritt zurück, sehen uns dastehen und schauen.
Xaver Bayer (2013)
Pressetext zur Ausstellung: Hanno Millesi, Neo-Geo | Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien von. 4. April bis 27. Juni 2013
Zur Arbeit des Schriftstellers Hanno Millesi gehören auch bildnerische Werke in Form von Collagen. Unter dem Titel Neo-Geo zeigt das Literaturhaus Wien einige davon.
Für seine Collagen löst der Schriftsteller fremde Erzählungen aus ihrem visuellen und narrativen Kontext und reinszeniert sie in veränderter Form. Auf dem zweidimensionalen Bildträger taucht er in eine visuelle Imaginationswelt ein und orientiert sich in dieser mithilfe einfacher Sätze aus anders gemeintem Zusammenhang. Den neu arrangierten Formulierungsversuchen haftet etwas von einer Projektion an, einer Anleihe, um eigentlich etwas ganz anderes zu sagen.
Barbara Zwiefelhofer, Literaturhaus Wien